Interview mit Wolfgang Wipper, BVSW Ehrenvorstand

BVSW: Sehr geehrter Herr Wipper, wie viele andere Branchen auch sehen sich Sicherheitsdienstleister durch die Pandemie in ihrer Existenz bedroht. Wie beurteilen Sie die Situation?

Wolfgang Wipper: Auf den ersten Blick kann man meinen, dass der Bedarf an Sicherheitsdienstleistungen sinkt. Unternehmen sind geschlossen, die Mitarbeiter im Homeoffice, Veranstaltungen fallen aus. Doch Aufträge bei Sicherheitsdienstleistern jetzt zu reduzieren oder zu kündigen wäre eindeutig zu kurz gedacht. Erstens aus rechtlichen Gründen: Es liegt derzeit keine „höhere Gewalt“ vor, die zum Aussetzen der Dienstleistungen und deren Vergütung berechtigt. Von Gebäuden und Liegenschaften selbst geht im Sinne einer Pandemie keinerlei Gefahr aus, also dürfen und sollten sie weiter gesichert werden. Auftragskürzungen wären auch deshalb fatal, weil bei dem engen Markt das Personal beim Wiederanlauf nicht mehr zur Verfügung stünde.

BVSW: Durch die aktuellen Beschränkungen sollte die Kriminalität doch rückläufig sein. Sehen Sie das anders?

Wolfgang Wipper: Die Lage ist derzeit natürlich wesentlich übersichtlicher, einfach weil deutlich weniger Menschen auf den Straßen unterwegs sind. Durch die derzeitige Situation ist bereits eine gewisse Kriminalitätsverschiebung zu erkennen, wie aus den aktuellen Meldungen der Polizei entnehmen ist. Sind die Menschen rund um die Uhr daheim, so sind Wohnungseinbrüche eventuell rückläufig. Dafür nutzten Betrüger die Corona-Krise für neue Maschen aus. Das Bayerische Landeskriminalamt warnt davor, dass sich Kriminelle beispielsweise als vermeintliche Mitarbeiter des Gesundheitsamtes ausgeben. Ihr Vorwand: Sie wollten einen Coronavirus-Test machen und Räume desinfizieren. So würden sie sich Zugang zu Wohnungen verschaffen, um an Geld und Wertgegenstände zu gelangen. Darüber hinaus suchen sich Kriminelle weitere andere Ziele, etwa medizinische Einrichtungen, leerstehende Fabriken, leerstehende Bürokomplexe oder staatliche Immobilien. Es gibt bereits Einbruchsfälle, die eindeutig im Zusammenhang mit der Corona-Krise stehen: So wurde letzte Woche in zwei Münchner Kliniken Material zum Infektionsschutz entwendet.

BVSW: Welche Auswirkungen hat die Lage auf die Aufgaben der Sicherheitsdienstleister?


Wolfgang Wipper: Knappe Güter, medizinische Ausrüstung und der Transport dieser Dinge müssen jetzt besser gesichert werden. Außerdem ist eine andere Planung der personellen Ressourcen gefragt: Wer derzeit nicht am Empfang oder sonstigen fachbezogenen Aufgaben benötigt wird, sollte insbesondere in der Nacht verstärkt im mobilen Streifendienst eingesetzt werden. Darüber hinaus gibt es in allen Betrieben eine Vielzahl von Tätigkeiten, die im Moment vorgezogen werden könnten, wie beispielsweise die Wartungen und Prüfungen im Sicherheits- und Brandschutz, oder die Überprüfung von Dienstanweisungen, Checklisten und sonstigen Unterlagen. Bei großen Liegenschaftsobjekten ist aktuell Zeit für Zustandsprüfungen, fotografische Dokumentation und weiteres.

BVSW: Wie können sich die Unternehmen und die Dienstleister jetzt gegenseitig unterstützen?

Wolfgang Wipper: In allen Bereichen ist Solidarität gefragt. Es wäre ein richtiges Signal, wenn die Auftraggeber sich an ihre Verträge halten. So könnten auch die Dienstleister ihre Mitarbeiter weiter beschäftigen. Letztendlich werden diese Mitarbeiter über kurz oder lang auch wieder gebraucht. Vor der Corona-Krise gab es permanent Diskussionen um den extremen Fachkräftemangel und diese Situation wird sich wieder einstellen, sobald die Krise abebbt.

BVSW: Ab dem 19.4.2020 soll der Alltag in die Unternehmen zurückkehren. Kann der Sicherheitsdienst hier helfen, um Neuansteckungen zu vermeiden?

 Wolfgang Wipper: Nach Expertenmeinung ist davon auszugehen, dass die Pandemie länger anhält. Andererseits wollen die Industrie und das Gewerbe möglichst früh wieder mit den Arbeitsprozessen beginnen. Um die Mitarbeiter in den Betrieben beschäftigen zu können, ohne gleich wieder die Ansteckungsgefahr deutlich zu erhöhen, sind meiner Einschätzung nach umfangreiche Vorbereitungen notwendig. Dazu können auch die Sicherheitsmitarbeiter bereits jetzt ihren Beitrag leisten. Einige Ideen finden sich in der Checkliste unten.

BVSW: Vielen Dank für das Gespräch!

Quick-Check: Empfehlungen bei Wiederaufnahme der Geschäftstätigkeit:

  • Bodenmarkierungen und Hinweisschilder zu Abstandsregelungen anbringen: Vor großen Gebäudezugängen, am Empfang und an Kopierern
  • Abstandsschutz für Mitarbeiter im Empfang u. a. durch Spuckschutzscheiben.
  • Kommunikationsecken mit Markierungen und Schildern versehen, um daraus „Nichtkommunikationsräume“ zu schaffen
  • Aufzüge mit Bodenmarkierungen versehen, um die Anzahl der Mitfahrer zu begrenzen.
  • Innenliegende Durchgangstüren (von Büro zu Büro) verschließen bzw. mit Schild „geschlossen“ versehen. Mitarbeiter können ihre Kollegen durch die Flurzugangstüre ansprechen.
  • Statt Besucherscheinen: Mündlichen Absprachen intensivieren und auf Papier verzichten
  • Besucher nicht unbedingt in Konferenzräume im Inneren des Gebäudes verbringen, sondern Besucherräume am Empfang einrichten. Personenbegrenzung festlegen und kontrollieren. Konferenzräume nur für interne Meetings nutzen und auf entsprechenden Abstand zum jeweiligen Meeting Partner achten.
  • Flächennutzungen in Bürogebäuden differenziert freigeben, d. h. gesundheitsgefährdete Mitarbeiter von anderem Personenkreis trennen und sogen. „Home Zonen“ statt nach Aufgabengebieten nach gesundheitlichen Aspekten vergeben. Dazu wären auch Informationen beim Zutritt zu verteilen und das Sicherheitspersonal entsprechend zu instruieren.
  • Hinweise in Anstellbereichen, z. B. durch Aufsteckrahmen mit Hinweisschildern und Plakaten
  • Ausgabe von medizinischem Material am Empfang wie z. B. Masken, Reinigungstücher und Desinfizierungsmittel, soweit nicht vor Ort installiert. Das Material muss auch sehr gut gesichert aufbewahrt werden. Regelmäßige Kontrolle und Auffüllen der Desinfektionsgeräte.
  • Personenbegrenzung für Aufenthaltsräume der Beschäftigten
  • Bereitstellung zusätzlicher Flächen für den Aufenthalt, welche aktuell nicht genutzt werden.
  • In Bereichen, wo sich betriebsbedingt mehrere Menschen aufhalten müssen ist das Tragen von Spuckschutzmasken sinnvoll
  • Soweit das Konzept im Betrieb steht wäre es sinnvoll, je nach Betriebsgröße eine Übung an einem Eingang mit den jetzt noch tätigen Mitarbeitern durchzuführen, um dann auf den zunehmenden Normalbetrieb vorbereitet zu sein.
  • Dokumentation aller getroffener Maßnahmen und Aufnahme in den betriebliche Notfall- und Krisenplan.

Herr Wolfgang Wipper engagiert sich seit vielen Jahren in der Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern in der Sicherheitsbranche. Im Rahmen dieser Aufgabe ist er Ausbilder und Prüfer beim BVSW, bei der VdS Schadenverhütung GmbH sowie bei der Industrie- und Handelskammer (IHK). Der Manager für Sicherheitsfragen war viele Jahre für die Siemens AG tätig und ehrenamtlicher Vorstandsvorsitzender beim BVSW. Im Jahr 2016 wurde Wolfgang Wipper zum Ehrenvorstand gewählt und 2018 verlieh ihm der Bayerische Innenminister Joachim Herrmann die Bayerische Staatsmedaille „Stern der Sicherheit“ als Dank und Anerkennung für außerordentliche Verdienste um die Innere Sicherheit.