Ein Beitrag von Boris Bärmichl, BVSW-Vorstand Digitalsparte
Europa ist von Importen digitaler Technologien abhängig. In einer Welt, in der Daten zur Währung geworden sind, ist diese Abhängigkeit ein Risiko. Dabei wäre es bereits heute möglich, mit europäischen Lösungen digitale Souveränität herzustellen. Noch ist es nicht zu spät – wenn jetzt alle mutig handeln.
Digitale Souveränität bedeutet, die Kontrolle über die digitalen Grundlagen unserer Gesellschaft zu behalten. Sie beginnt bei der technologischen Souveränität, also der Fähigkeit, die eingesetzten Systeme selbst zu gestalten. Darauf baut die Datensouveränität auf, die Kontrolle darüber, wird Zugang zu Informationen hat und wie sie verarbeitet werden. Gemeinsam bilden sie die Basis für wirtschaftliche Souveränität: die Unabhängigkeit von außereuropäischen Plattformen und Anbietern. Nur wer in allen drei Bereichen eigenständig und selbstbestimmt bleibt, kann sich in der dynamischen digitalisierten Welt langfristig behaupten. Doch Europas digitale Souveränität steht derzeit auf wackeligen Beinen.
Big Five und die Macht der Daten
Rund 70 Prozent der Cloud-Infrastrukturen werden aktuell von US-Anbietern gestellt, 90 Prozent der Suchmaschinen sind außereuropäisch. Auch in den Bereichen KI-Entwicklung, Chip-Produktion und Social Media dominieren amerikanische und chinesische Anbieter, während der Wettbewerb für europäische Unternehmen durch fehlende Skaleneffekte und fragmentierte Märkte erschwert wird.
Fünf große Konzerne beherrschen weite Teile des Digitalmarktes: Jede E-Mail, jedes Dokument, jede Sprachnachricht oder jede beliebige andere digitale Information kommt irgendwann mit den Lösungen der „Big Five“ in Berührung, also mit Alphabet, Amazon, Apple, Meta oder Microsoft. Damit erzielen diese Tech-Giganten nicht nur einen enormen Umsatz von rund 1,6 Billionen US-Dollar jährlich, sondern erhalten zusätzlich einen umfassenden Überblick über die weltweite Informationslage. Das kann unter Umständen mehr wert sein als das verdiente Geld.
Regierungen haben das Potenzial der Daten längst erkannt und Technologie zum Teil ihrer Geopolitik gemacht.
Abhängigkeit hat ihren Preis
Dass diese digitalen Abhängigkeiten verschiedene Risiken bergen, ist mittlerweile nicht mehr zu übersehen. Mit dem Patriot Act und dem CLOUD Act haben US-Behörden die Möglichkeit auf Daten zuzugreifen, die in Europa generiert und gespeichert werden. Damit gelangen diese Behörden unter Umständen Informationen, die eigentlich dem europäischen Datenschutz unterliegen.
Auch empfindliche Preissteigerungen, die Quasi-Monopolisten mühelos durchsetzen können, werden zunehmend zum Problem. Ein Beispiel dafür sind die Ausgaben des Bundes für Microsoft-Lizenzen: Lagen die Kosten 2017 noch bei 74 Millionen Euro, betrugen sie 2024 bereits 204,5 Millionen. (Quelle: Heise).
Oft ist auch ein Anbieterwechsel mit großem Aufwand verbunden, was den Handlungsspielraum von Organisationen eingrenzt. Cloudanbieter halten die Migrationskosten künstlich hoch, um einen Wechsel zu erschweren. In anderen Fällen lassen sich Dateien nur mit der proprietären Software verwenden und werden unbrauchbar, wenn man den Anbieter nicht mehr einsetzen möchte.
Viele schlummernde Chancen
Doch es gibt auch gute Nachrichten, denn Europa hat im Digitalbereich viele Stärken vorzuweisen. Im Datenschutz ist Europa Vorreiter, nirgendwo sonst wird das Recht an den eigenen Daten so hoch gehandelt. Langfristig betrachtet ist dieses Datenschutzniveau der Garant für Unabhängigkeit. Auch im Forschungsbereich, insbesondere im Bereich der Künstlichen Intelligenz und des Quantecomputings ist Europa herausragend. Viele wissenschaftliche Akteure arbeiten aktiv an der Entwicklung von Quantentechnologien und neuen Möglichkeiten von KI, oft in enger Zusammenarbeit mit der Industrie. Präzision, Qualität und Innovationen sind Teil der Ingenieurskultur. Und auch wenn es manchmal als Hemmschuh betrachtet wird, so ist das regulatorische Know-How in der europäischen Union entscheidend, um die passenden Rahmenbedingungen für neue Technologien zu setzen. Nur so lässt sich sicherstellen, dass die Innovationen in den Dienst der gesamten Gesellschaft gestellt werden.
Mehr Risiko wagen
Doch bevor neue Technologien anfangen zu skalieren, zieht es zahlreiche Start-ups in die USA oder nach Asien. Dort gibt es deutlich mehr Wagniskapital, um Innovationen schneller vorantreiben. In Europa stehen junge Unternehmen dagegen oft vor erheblichen bürokratischen Hürden. Banken verlangen Sicherheiten, die ein Start-Up in der Entwicklungsphase oft nicht aufbringen kann. Klassische Finanzierungsmöglichkeiten sind meist auf bewährte Geschäftsmodelle ausgerichtet, statt auf visionäre Ideen, die erst in der Zukunft Erträge generieren.
Ein weiteres Problem ist das Mind-Set. In Europa herrscht eine gewisse Skepsis gegenüber neuen Technologien vor, in der Politik und Verwaltung ebenso wie in der Gesellschaft. Datenschutz, Regulierung und ethische Bedenken werden in manchen Fällen so restriktiv ausgelegt, dass sie Innovationen eher bremsen als fördern.
Oft wird auch noch die Zersplitterung Europas als Innovationsbremse genannt: 27 unterschiedliche Regulierungen, Sprachen und Märkte finden sich in Europa. Doch das lässt sich auch als Chance begreifen. Die Notwendigkeit zum Perspektivwechsel ist ein wichtiger Treiber für neue Ideen.
Verbindungen herstellen, Zusammenarbeit stärken
Bereits heute gibt es eine ganze Reihe von europäischen Technologieunternehmen, die alles zur Verfügung stellen könnten, was für die digitale Souveränität Europas entscheidend ist. IONOS, Noris Network und OVHcloud sind Beispiele für Cloud-Anbieter mit DSGVO-konformen Rechenzentren und konkurrenzfähigen Services. Im Bereich Security & Identity bieten Nevis, Secunet oder Eviden Lösungen für Authentifizierung, Verschlüsselung und IT-Sicherheit aus Europa. Souveräne Datenökosysteme und europäische KI-Modelle, beispielsweise von N8N und U-KNOW.AI, stehen für besonders kritische Anwendungen zur Verfügung. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Es gibt über 800 herausragende europäische Unternehmen, die alles Erforderliche bieten – von der Hardware, über die Cloud bis zur KI.
Kurswechsel jetzt
Europa hat die Technologie, die Unternehmen und die Talente – jetzt braucht es noch den gemeinsamen Willen, sie zu vereinen. Die Zeit drängt: Europa muss schneller handeln, mutiger investieren und Innovationen mit mehr Risikofreude begegnen. Öffentliche Hand, Mittelstand und Start-ups müssen enger zusammenarbeiten, denn die notwendige Skalierung lässt sich nur gemeinsam erreichen. Außerdem gilt es, die digitalen Kompetenzen auf allen Ebenen zu stärken – von der Schule bis zur Führungsetage im Großkonzern. Und nicht zuletzt müssen die Erfolgsgeschichten europäischer Tech-Unternehmen erzählt und sichtbarer werden, um Vertrauen aufzubauen und Nachfrage zu schaffen.
Digitale Souveränität ist kein Wunschtraum, sondern eine Frage des entschlossenen Handelns. Lassen Sie uns diese Herausforderung gemeinsam gestalten.
Ein Artikel von Boris Bärmichl, Vorstand Digitalsparte, Bayerischer Verband für Sicherheit in der Wirtschaft e .V.