Der Operationsplan Deutschland (OPLAN) regelt die Verteidigung der Bundesrepublik im Ernstfall. Auch der Unterstützungsbedarf durch die private Wirtschaft ist darin definiert. Worauf müssen sich Unternehmen einstellen und wie können sie sich vorbereiten?

Die Sicherheitslage in Deutschland und Europa hat sich verschärft. Sollte die Situation weiter eskalieren, wäre Deutschland an der Verteidigung von NATO-Territorium beteiligt und vor allem auch logistische Drehscheibe für alliierte Streitkräfte.Die Bundeswehr hat Einzelheiten für den Ernstfall im Operationsplan Deutschland (OPLAN) festgehalten, der auch den Unterstützungsbedarf durch die private Wirtschaft umfasst.Der OPLAN wird permanent an die Sicherheitslage angepasst und ist in weiten Teilen geheim. Die Möglichkeiten der Behörden, Unterstützung durch die Privatwirtschaft anzufordern, fügen sich in den bestehenden Rechtsrahmen ein.

Welcher Ernstfall kann eintreten?

Einen „Ernstfall“ als solchen gibt es in der Gesetzgebung nicht. Vielmehr wurde er in diesem Artikel als Oberbegriff für vier mögliche Szenarien gewählt, die der Gesetzgeber genauer benennt:

  • Verteidigungsfall
    Der Verteidigungsfall ist in Artikel 115a des Grundgesetzes geregelt und tritt ein, wenn die Bundesrepublik mit Waffengewalt angegriffen wird, oder ein solcher Angriff unmittelbar bevorsteht. Der Bundestag muss den Verteidigungsfall feststellen, der Bundesrat zustimmen.

    Der Eintritt des Verteidigungsfalls hat weitreichende Konsequenzen auf das Gesetzgebungsverfahren und ist Voraussetzung dafür, dass Behörden besondere Befugnisse erhalten. Zu diesen Befugnissen zählen auch der Eingriff in die Rechte von privaten Unternehmen.

  • Spannungsfall

Eine Vorstufe zum Verteidigungsfall ist der Spannungsfall (Artikel 80a GG). Im Gegensatz zum Verteidigungsfall wird der Spannungsfall vom Grundgesetz nicht näher beschrieben. Es könnte sich zum Beispiel um internationale Spannungen handeln, die das Potenzial haben, zu einem bewaffneten Konflikt zu eskalieren.

Der Spannungsfall erweitert die Behördenbefugnisse im geringeren Umfang als der Verteidigungsfall, doch im Rahmen der Vorsorge- und Sicherstellungsgesetze sind bereits Eingriffe möglich. Darüber hinaus können zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung die Kompetenzen der Bundeswehr ausgebaut werden. Außerdem wird die Wehrpflicht wieder aufgenommen.

  • Zustimmungsfall

Auch wenn weder ein Verteidigungs- noch ein Spannungsfall vorliegt, kann der Bundestag der Anwendung einzelner oder aller Notstandsvorschriften zustimmen (Artikel 80a GG). Ziel dieser Regelung ist es nicht, die Schwelle für Maßnahmen abzusenken, sondern dem Parlament zu ermöglichen, gezielte Verteidigungsvorbereitungen zu treffen.

  • Bündnisfall
    Anders als der Verteidigungs- und Spannungsfall ist der Bündnisfall nicht im Grundgesetz geregelt. Er begründet sich auf das Völkerrecht und beschreibt eine Beistandsverpflichtung, sollten Staaten der EU oder der NATO angegriffen werden. Der Bündnisfall zieht keine weiteren Befugnisse nach sich.

Seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland wurden weder der Verteidigungs- noch der Spannungsfall festgestellt. Einzig die Terroranschläge in den USA vom 11. September 2001 führten zur Feststellung des Bündnisfalls laut Nordatlantikvertrag.

Einsatz statt Büro: Auswirkungen auf den Personalbestand

Sollte einer der genannten Fälle eintreten, kann das für Unternehmen weitreichende Konsequenzen für den Personalbestand zur Folge haben. Mitarbeitende können durch gesetzliche Verpflichtungen aus ihrem regulären Arbeitsverhältnis abgezogen werden, was die Personalplanung und damit letztlich die gesamten Betriebsabläufe beeinträchtigt.

Mit dem Ausrufen des Spannungs- oder Verteidigungsfalls würde die derzeit ausgesetzte Wehrpflicht für alle männlichen Deutschen im Alter von 18 bis 60 Jahren reaktiviert. Diese könnten unmittelbar zum Wehrdienst einberufen werden. Unter bestimmten Voraussetzungen kann eine sogenannte Unabkömmlichstellung erfolgen, wenn ein öffentliches Interesse an der fortgesetzten Tätigkeit im Unternehmen besteht – allerdings ohne verbindliche Leitlinien oder Rechtsmittel für Arbeitgeber.

Während des Wehrdienstes ruht das Arbeitsverhältnis ohne Entgeltzahlung, es gilt ein besonderer Kündigungsschutz. Das Arbeitsverhältnis von Zeitsoldaten ist in den ersten sechs Monaten ebenfalls geschützt, bei längerer Dienstzeit gelten Einschränkungen.

Arbeitnehmer, die im Zivil- oder Katastrophenschutz ehrenamtlich tätig sind, beispielsweise bei DRK, THW oder Feuerwehr, haben Anspruch auf bezahlte Freistellung für Einsätze, Ausbildungen und Bereitschaftsdienste. Arbeitgeber erhalten die Entgeltkosten in der Regel erstattet – beim THW jedoch erst ab bestimmten zeitlichen Ausfallgrenzen.

Im Verteidigungs- oder Spannungsfall können Arbeitnehmer zum Einsatz in verschiedenen systemrelevanten Bereichen verpflichtet werden – etwa zur Bundeswehr, in Krankenhäusern, der Energieversorgung, in Verkehrsunternehmen oder in der Lebensmittelindustrie. Diese Regelung gilt im Spannungs- oder Verteidigungsfall für Wehrpflichtige. Für Frauen kommt eine Verpflichtung nur im Verteidigungsfall infrage und ausschließlich für den Bereich Sanitäts- und Heilwesen. Ausnahmen greifen beispielsweise bei Schwangeren oder Schwerbehinderten.

Sicherstellungs- und Vorsorgegesetze:
Staatliche Inanspruchnahme privater Unternehmen im Krisenfall

Im Rahmen der zivilen Verteidigung und Krisenvorsorge gibt es eine Reihe von Gesetzen, die staatliche Eingriffe in die Privatwirtschaft ermöglichen – teils nur im Spannungs- oder Verteidigungsfall, teils aber auch bereits zur Vorbereitung oder bei anderen Gefährdungslagen. Diese Eingriffsrechte betreffen nahezu alle Wirtschaftssektoren und können Unternehmen unter anderem verpflichten, Leistungen und Infrastruktur bereitzustellen. Allgemeine oder auch bereichsspezifische Gesetze stellen hier die Rechtsgrundlage dar.

Das Wirtschaftssicherstellungsgesetz (WiSiG) erlaubt im Spannungs- oder Verteidigungsfall planwirtschaftliche Maßnahmen durch Verordnungen der Bundesregierung etwa zur Produktionslenkung, Rohstoffverteilung oder Vorratshaltung. Auch der Finanzsektor kann betroffen sein. Die Maßnahmen reichen hier bis hin zu vorrübergehenden Börsenschließungen.

Die Inanspruchnahme von Sachen, Grundstücken, Werk- und Verkehrsleistungen ermöglicht das Bundesleistungsgesetz (BLG). Es kann unter besonderen Umständen auch außerhalb des Verteidigungsfalls gelten, wenn beispielsweise Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung bestehen.

Werden bestimmte Grundstücke zu Verteidigungszwecken benötigt, so regelt das Landesbeschaffungsgesetz (LBG) deren Erwerb oder Enteignung. Nutzungseinschränkungen für Grundstücke, die in unmittelbarer Nähe von Verteidigungseinrichtungen stehen, können im Rahmen des Schutzbereichsgesetz (SchBerG) erlassen werden.

Regelungen für einzelne Wirtschaftsbereiche

Neben den genannten Gesetzen gibt es noch weitere Regelungen für bestimmte Wirtschaftsbereiche.

So greift bei akuter Störung oder Gefährdung der Energieversorgung das Energiesicherungsgesetz (EnSiG) und zwar unabhängig vom Verteidigungsfall. Es erlaubt umfassende Eingriffe in Produktion, Verteilung, Lagerung und Preisbildung sämtlicher Energieträger. Für Betreiber Kritischer Infrastrukturen gemäß BSI-KritisV sind weitergehende Maßnahmen wie Treuhandverwaltung oder Enteignung möglich.

Das Ernährungssicherstellungs- und -vorsorgegesetz (ESVG) ermächtigt die Bundesregierung zur Feststellung einer Versorgungskrise, beispielsweise bei Naturkatastrophen oder militärischen Konflikten. In Folge können Maßnahmen zur Steuerung der Lebensmittelproduktion und -verteilung, einschließlich Zuteilungen („Lebensmittelmarken“), angeordnet werden.

Auch die Wasserversorgung muss im Fall einer Krise aufrechterhalten bleiben. Maßnahmen, die für die Sicherstellung von Wasserversorgung- und -entsorgung erlassen werden können, regelt das Wassersicherstellungsgesetz (WasSiG). So erlaubt es beispielsweise, Unternehmen zum Bau von Eigenbrunnen zu verpflichten.

Das Postsicherstellungsgesetz (PSG) fordert von Postunternehmen die Priorisierung sogenannter „Postbevorrechtigter“, beispielsweise Behörden, Gesundheitswesen oder Bundeswehr bei Störungen. Etwas Vergleichbares gilt für Telekommunikationsanbieter und ist im Telekommunikationsgesetz (TKG) geregelt. Im PSG ist darüber hinaus auch im Kriegsfall die Unterstützung der Feldpost durch private Postunternehmen festgelegt.

Nicht zuletzt ist die Aufrechterhaltung der Verkehrsinfrastruktur im Krisenfall wichtig. Hier greift das Verkehrssicherstellungsgesetz (VerkSiG). Es dient der Aufrechterhaltung und Steuerung der Verkehrsinfrastruktur sowie der Verfügbarkeit von Verkehrsmitteln zu Zwecken der Verteidigung. Dennoch ist es nicht zwingend an den Eintritt eines Spannungs- oder Verteidigungsfalls gebunden, sondern ermöglicht auch präventive Maßnahmen bei anderen sicherheitsrelevanten Lagen.

Resilienz durch vorausschauende Vorbereitung

Die Vielzahl an Sicherstellungs- und Vorsorgegesetzen zeigt, wie breit und tiefgreifend der Staat im Krisen- oder Verteidigungsfall, aber auch bereits im Vorfeld, auf privatwirtschaftliche Ressourcen zugreifen kann. Für Unternehmen bedeutet das, dass Vorsorge keine freiwillige Option ist, sondern vielmehr ein strategischer Bestandteil betrieblicher Resilienz.

Unternehmen sollten klären, welche Gesetze im Krisenfall greifen würden. Auch die Vertragsgestaltung muss auf ihre Krisenfestigkeit überprüft werden, beispielsweise welche Konsequenzen die staatliche Inanspruchnahme auf die Lieferverpflichtungen hätte. Sinnvoll ist auch eine Dokumentation aller betrieblicher Ressourcen, die eventuell bei einer Krisenlage eingefordert werden könnten. Die mögliche staatliche Inanspruchnahme sollte in den bestehenden Krisenplänen Berücksichtigung finden.

Ein guter Kontakt zu den relevanten Behörden kann hilfreich sein. Verantwortliche sollten daher die jeweiligen Anforderungsbehörden identifizieren und mit den zuständigen Stellen in Verbindung treten. Im Ernstfall können Informationsabfragen zu Verfügbarkeiten und Kapazitäten recht kurzfristig eintreffen. Die entsprechenden Daten sollten deshalb vorbereitet und stets aktuell gehalten werden.  

Weitere Informationen beim BVSW

Der Bayerische Verband für Sicherheit in der Wirtschaft plant derzeit eine eigene Fachveranstaltung zum Thema „OPLAN – Operationsplan Deutschland“. Ziel ist es, Unternehmen, Behörden und Sicherheitsexperten eine Plattform für den Austausch zu bieten – insbesondere zu Fragen der operativen Planung, nationalen Sicherheitsstrategien und deren praktischer Umsetzung. Weitere Informationen zur Veranstaltung, einschließlich Termin und Programm, werden in Kürze bekannt gegeben.